„State of European Tech“: Rekordsumme für deutsche Tech-Startups

Deutsche Tech-Startups sammeln 2019 sechs Milliarden US-Dollar ein. Immer mehr ausländische Fachkräfte zieht es nach Deutschland. Weniger als zehn Prozent des Risikokapitals fließt in ausschließlich weibliche oder gemischtgeschlechtliche Gründerteams.

Der Handelskonflikt zwischen den USA und China verunsichert die globalen Märkte. Ein Lichtblick in diesen Zeiten ist im Jahr 2019 dagegen die europäische Tech-Branche. Das belegen Zahlen aus dem aktuellen Report „State of European Tech“: Demnach sind europäische Tech-Startups auf bestem Wege, 2019 über 30 Milliarden US-Dollar Wachstumskapital zu erhalten.

Auch die Anzahl der Finanzierungsrunden mit einem Volumen von mindestens 100 Millionen US-Dollar liegt auf Rekordniveau. Herausforderungen für die europäische Tech-Szene bleiben dagegen Diversität und Inklusion sowie der mangelhafte Zusammenhalt politischer Entscheider auf EU-Ebene und der Tech-Gemeinschaft.

Der Report, veröffentlicht von Atomico gemeinsam mit den Partnern Slush und Orrick, identifiziert sieben wesentliche Entwicklungen im deutschen Tech-Sektor.

1. Die Welt blickt gespannt auf den Handelskonflikt zwischen den USA und China, die globalen Märkte sind angespannt. Dennoch wachsen die europäische und die deutsche Tech-Wirtschaft kontinuierlich und stabil.

  • Die Investitionen in europäische Tech-Unternehmen steigen weiter und überschreiten 2019 30 Milliarden US-Dollar. Zum Vergleich: Im Vorjahr lag die Investitionssumme bei 25 Milliarden US-Dollar. Auch deutsche Startups erhalten mehr Kapital. Das Volumen hierzulande steigt um 25 Prozent auf sechs Milliarden US-Dollar (Quelle: Dealroom).
  • Mit Berlin und München befinden sich zwei der fünf europäischen Top-Technologie-Zentren in Deutschland (Quelle: Dealroom).
  • Mit TeamViewer führte ein deutsches Unternehmen einen größten Tech-IPOs Europas durch. Die Marktkapitalisierung betrug zum Zeitpunkt des IPOs 5,8 Milliarden US-Dollar (Quelle: Dealroom und LSE).

2. Sowohl innere als auch äußere Einflüsse steigern die Diversität von Deutschlands Tech-Ökosystem.

  • Köln, Darmstadt und Stuttgart zählen zu den zehn am schnellsten wachsenden Tech-Hubs in Europa (Quelle: Meetup).
  • 53 Prozent der Arbeitskräfte der Tech-Branche finden laut einer Umfrage im Rahmen des State of European Tech, dass immer mehr neue internationale Kollegen in ihren Unternehmen arbeiten. Weitere 69 Prozent erklären, dass Demografien, Hintergründe und Erfahrungen von Kandidaten für offene Stellen immer vielfältiger werden. In keiner anderen Region erhielten diese beiden Statements mehr Zustimmung als in Deutschland (Quelle: State of European Tech, Umfrage).

3. Trotz der großen deutschen Tech-Szene: Risikokapital stammt zum Großteil immer noch von Unternehmen und dem Staat. Um künftig ausreichend Kapital für die stetig wachsende deutsche Tech-Szene bereitstellen zu können, müssen deutsche VCs andere institutionelle Investoren mobilisieren.

  • DACH-VCs erhielten zwischen 2014 und 2018 60 Prozent des eingesammelten Kapitals von Unternehmen oder staatlichen Stellen.
  • Stellt man das eingesammelte Risikokapital in Relation zur Bevölkerung, so sammelten deutsche VCs zwischen 2016 und 2018 durchschnittlich 57 US-Dollar pro Kopf ein. Dieser Wert liegt unter dem europäischen Durchschnitt von 66 US-Dollar pro Kopf (Quelle: Invest Europe).

4. In Deutschland gibt es mehr Entwickler als anderswo in Europa.

  • Über 900.000 professionelle Entwickler sind in Deutschland ansässig. Setzt man die Investitionssummen in Relation mit der Anzahl der Entwickler, wurde in Berlin europaweit das meiste Kapital pro Entwickler investiert (Quelle: Stack Overflow und Dealroom).

5. Die europäische Tech-Politik bleibt Gründern* ein Rätsel.

  • 40 Prozent der europäischen Gründer fühlen sich nicht ausreichend informiert, um Prioritäten der europäischen Tech-Politik zu benennen (Quelle: State of European Tech, Umfrage).
  • Trotz unzureichender Kenntnis der europäischen Tech-Politik: Den größten Einfluss auf die europäische Technologie-Wirtschaft hat nach Auffassung der Umfrage-Teilnehmer EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Verstager – sei es zum Positiven wie Negativen (Quelle: State of European Tech, Umfrage).
  • Vergangenes Jahr steckten Investoren 12,7 Milliarden US-Dollar in FinTech- und Digital-Health-Unternehmen. Dennoch sehen EU-Parlamentarier für diese beiden Themen keinen Diskussionsbedarf (Quelle: Politico und Dealroom).

6. Die Ergebnisse zum Thema Diversität in der Tech-Branche sind weiterhin betrüblich.

  • 2019 flossen 92 Prozent der Investitionen an ausschließlich männliche Gründerteams. Damit ließ sich keine sichtbare Veränderung zu 2018 feststellen (93 Prozent).
  • Zwischen dem 1. Oktober 2018 und dem 30. September 2019 sammelten 251 VC-finanzierte europäische Tech-Unternehmen in einer Series A- oder Series B-Finanzierungsrunde mehr als zehn Millionen US-Dollar ein. Unter den 119 CTOs dieser Unternehmen ist nur eine Frau (< 1 Prozent). Insgesamt ist der Anteil weiblicher Software-Entwicklerinnen mit 7,5 Prozent deutlich höher (Quelle: Stack Overflow, Craft, Dealroom).
  • Ethnische Minderheiten werden in europäischen Tech-Unternehmen deutlich häufiger diskriminiert als ihre Weißen Kollegen (Quelle: State of European Tech, Umfrage).
  • Über 80 Prozent der Schwarzen/afrikanischen/karibischen Teilnehmer der Studie erklärten, sie seien bereits aufgrund ihrer Ethnie diskriminiert worden.
  • 63 Prozent der weiblichen VCs gaben an, häufiger an Events teilzunehmen, auf denen die Diversität der Gründer hoch ist (zum Vergleich: Darauf achten nur ein Drittel ihrer männlichen Gegenüber). Dies legt den Schluss nahe, dass männliche Risikokapitalgeber es den Kolleginnen überlassen, Europas Diversitäts-Problem zu lösen.

7. Nicht nur der kommerzielle Erfolg steht für europäische Gründer im Fokus – sie versuchen auch einige der weltweit größten Probleme zu lösen.

  • Jeder fünfte europäische Gründer misst bereits den sozialen und/oder ökologischen Einfluss des eigenen Unternehmens (Quelle: State of European Tech, Umfrage).
  • Nur 14 Prozent der Gründer halten dies für unwichtig. Bei Gründerinnen ist es wahrscheinlicher, dass sie bereits einen fortgeschrittenen Ansatz haben, den Einfluss ihres Unternehmens zu messen (Quelle: State of European Tech, Umfrage).
  • Tech-Arbeitskräfte erachten Corporate Social Responsibility als wichtiger: So betonen 57 Prozent von ihnen die Bedeutung von CSR (Quelle: State of European Tech, Umfrage).

Im Rahmen des Reports führten Atomico, Slush und Orrick eine Umfrage unter 5.000 Angehörigen des europäischen Tech-Ökosystems durch; darunter auch 1.000 Gründer. Die Daten geben klare Anhaltspunkte an die Hand, um europäische Tech-Gründer zu typologisieren.

Mentales Wohlbefinden ist ein Anliegen der Gründer: Jeder vierte Gründer empfindet eine negative Auswirkung der Unternehmensgründung auf seine geistige Gesundheit. Menschen mit schlechten Erfahrungen waren offener, im Rahmen des Reports über ihre Schwierigkeiten und Herausforderungen zu berichten.

Beispielsweise kämpften sie mit der Work-Life-Balance oder der Einsamkeit an der Spitze des Unternehmens. 57 Prozent der Befragten, die bereits externes Kapital eingesammelt haben, würden es begrüßen, vom Aufsichtsrat oder den Investoren im Umgang mit dem Druck des Gründerdaseins besser unterstützt zu werden.

Menschen mit einem niedrigen sozioökonomischen Hintergrund haben es schwerer, Unternehmer zu werden; sie sehen sich finanziellen Hürden gegenüber. Dementsprechend erklären 81 Prozent der Unternehmer, dass sie vor der Unternehmensgründung ein komfortables Leben geführt hätten. Zum Vergleich: Laut Eurostat sagen nur 39 Prozent aller Europäer, dass sie ein relativ einfaches, einfaches oder sehr einfaches Leben führen.

Der State of European Tech 2019 ist unter www.stateofeuropeantech.com verfügbar.

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