„Erzählen Sie jedem, der nicht bei drei auf dem Baum ist, dass Sie an einer Übernahme interessiert sind“
Schnell mal einen Betrieb übernehmen? Ganz so einfach ist eine Unternehmensnachfolge nicht, erklärt Prof. Dr. Birgit Felden im ausführlichen Gespräch mit gründerküche.de.

Gründer und Gründerinnen rücken bei Betriebsübergaben immer stärker in den Fokus, weiß Prof. Dr. Birgit Felden, die seit seit 30 Jahren im Bereich Unternehmensnachfolge forscht und. Im Interview mit gründerküche.de erklärt die Wissenschaftlerin und Beraterin, warum Betriebsübergaben immer ein Dreieck aus Psychologie, Recht und BWL sind und welche Fragen sich Altinhaber und Übernahmewillige stellen sollten, bevor sie eine Übertragung aktiv angehen. Praktische Tipps, wie ihr Fehler vermeidet, gibt es natürlich auch.
gründerküche.de: Wie kamen Sie denn dazu, sich so intensiv mit Nachfolge zu beschäftigen?
Prof. Dr. Birgit Felden: Ich habe nach dem Studium in einem Unternehmen angefangen, in dem der damalige Inhaber seine Nachfolge regeln musste. Der hat an zwei Mitarbeiter verkauft: Ich merkte, dass die Paragrafen dabei ziemlich lebendig wurden. Die Betriebswirtschaft, die ich in meinen Studium in Köln eher mathematisch kennengelernt habe, wurde plötzlich emotional. Das hat mich gereizt, auch weil ich ursprünglich Psychologie studieren wollte.
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Was hat Psychologie mit einer Nachfolge zu tun?
Gerade die menschliche Komponente ist bei jeder Nachfolge entscheidend: Ich kann mit der Erfahrung von inzwischen hunderten Fällen genau sagen, warum eine Übergabe aus dem einem Grund bei der einen funktioniert und aus demselben Grund bei dem anderen nicht. Betriebsübergaben sind immer ein Dreieck aus Psychologie, Recht und BWL. Diese Interdisziplinarität des Themas sorgt dafür, dass es für mich als Beraterin nicht langweilig wird, macht es aber für die Beteiligten oftmals so schwer.
Sie sprechen die Interdisziplinarität an: Ganz so einfach scheint eine Übergabe nicht zu sein. Von wegen nur einen Vertrag unterzeichnen, in dem steht, dass Herr Müller seine Dachdeckerfirma für 100.000 Euro an Herrn Schulze verkauft und dann ist die Sache erledigt …
Das ist genau das Problem und der Grund, warum viele Unternehmer die Übergabe hinauszögern. Sie merken ziemlich schnell, dass es nicht leicht ist. Außerdem hat, auch weil die Nachfolge in den letzten zehn Jahren salonfähig geworden ist, mittlerweile jeder verstanden, dass das Thema komplex ist und man es frühzeitig angehen sollte.
Bisher hat man eine Gruppe außen vor gelassen: die Gründer und Gründerinnen.
Warum haben Unternehmensnachfolgen denn zuletzt enorm an Schubkraft gewonnen?
Aus meiner Wahrnehmung ist Nachfolge schon viel länger ein Thema, spätestens seit 1996. Damals hatte das NRW-Wirtschaftsministerium eine erste Kampagne gestartet, um das Thema gerade im Gründungskomplex zu platzieren. Das Interesse an und die Aufmerksamkeit für das Thema unterliegt gewissen Wellenbewegungen: Zwischen 1996 und der Jahrtausendwende war es ziemlich hip, dann wurde es wieder etwas ruhiger, dann kann eine weitere Welle und so weiter. Zurzeit sind wir wieder in einer Welle.
Welche Rolle spielt dabei die demografische Entwicklung?
Auf der einen Seite haben wir die Babyboomer, die absehbar ihre Unternehmen abgeben und auf der anderen Seite weniger potenziell Nachfolgende. Es muss daher heute etwas genauer geschaut werden, wo neue Nachfolgergruppe identifiziert werden können. Bisher hat man eine Gruppe jedenfalls außen vor gelassen: die Gründer und Gründerinnen.
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Warum das?
Einerseits wurde in den letzten Jahren den Blick vor allem auf die abgebende Generation gerichtet und nicht auf die nachfolgende. Zudem herrschte in den letzten Jahren die Wahrnehmung vor: Das sind doch alles hippe Startups, die kann man mit traditionellen Unternehmen nicht locken. So langsam aber sickert die Erkenntnis durch, dass viele doch eher klassische Unternehmen mit ein bisschen Internet drumherum gründen möchten. Aus diesem Grund wäre es doch ziemlich clever, einen Teil dieser Gründenden für eine Unternehmensnachfolge zu gewinnen.
Welche Vorteile haben die Gründer von einer Nachfolge?
Indem sie einen bestehenden, laufenden Betrieb übernehmen, können sie die Risiken in der ersten Zeit der Gründung ein wenig abmildern. Das erkennen auch immer mehr Gründer-Institutionen, die sich bislang mit dem Thema Nachfolge noch nicht beschäftigt haben. Aber eine Gründung muss nicht nur eine Neugründung sein, es kann auch eine Übernahmegründung sein oder der Start als Franchise-Nehmer – es gibt einfach verschiedene Formen.
Es ist gar nicht eindeutig definiert, wann eine Nachfolge eine Nachfolge ist.
Wie viele Unternehmen suchen denn überhaupt Nachfolger?
Es gibt wenig valide Zahlen dazu, lediglich Schätzwerte, wie viele Unternehmen zur Übergabe anstehen – die basieren u.a. auf demografischen Faktoren, etwa wie alt die Inhaber sind und in welchen Zyklen Unternehmen übergeben werden. Von Institut für Mittelstandforschung Bonn gibt es solide Studien, die im Vier-Jahres-Rhythmus erscheinen. Grob lässt sich sagen, dass es einen permanenten Bestand von 130.000 bis 150.000 Unternehmen gibt, die absehbar zur Übergabe stehen. Zahlen zu potenziellen Nachfolgern gibt es hingegen so gut wie gar nicht. Das Thema ist übrigens auch in anderer Sicht schwammig.
In welcher?
Es ist gar nicht eindeutig definiert, wann eine Nachfolge eine Nachfolge ist. Muss nur die Geschäftsführung übergeben werden? Oder auch das Eigentum? Müssen Anteile zu 100 Prozent übergeben werden, oder reichen auch 50 oder 70? Wann ist eine Nachfolge vollzogen? Und wo taucht das überhaupt auf? Wird ein Einzelunternehmen übergeben, dann erfolgt die Liquidation im entsprechenden Register und eine Neugründung wird eingetragen: Das Label „Nachfolge“ steht freilich nirgendwo. Auch wenn Anteile an einer GmbH oder kleinen Aktiengesellschaft übergeben werden, wird der Anteilswechsel nicht publiziert. Das ist auf der wissenschaftlichen Ebene sehr interessant.
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Gehen wir mal auf die praktische Ebene: Welche Fragen müssen sich denn Altinhaber und Übernahmewillige stellen, bevor sie eine Übertragung aktiv angehen?
Die erste Frage auf beiden Seiten sollte sein: Was will ich überhaupt? Die nachfolgende Generation muss sich klar sein: Will ich Unternehmer werden und in welcher Form? Was ist mein Geschäftsmodell, oder was könnte ein Geschäftsmodell sein, mit dem ich mich wohlfühle? Durch welche Form der Gründung ist das am ehesten zu realisieren?
Sicher hat auch die abgebende Seite grundsätzliche Fragen zu beantworten …
Natürlich. Dazu gehört etwa: Will ich, dass das Unternehmen in der Familie bleibt? Soll es am Standort bleiben? Soll der Name erhalten bleiben? Sind mir Tradition und Fortführung wichtig oder ist mir Kasse machen wichtig? Möchte ich das Ganze noch ein Stück weit begleiten, oder will ich sofort raus?
Die Zielfrage sollten sich beide Seiten in der frühen Phase unbedingt stellen. Sie steht für mich an erster Stelle. Daran lässt sich, wenn man dann die Beteiligten zusammenbringt, klären, wo es kongruente Erwartungen gibt und wo Konfliktpotenzial schlummert. Man weiß dann auch ziemlich schnell, ob es Sinn macht, weiter miteinander zu reden.
Da kommt wieder die Psychologie ins Spiel, oder?
Genau. Der zweite Faktor, der in einem frühen Übernahmestadium bei mittelständischen Unternehmen wichtig ist: Stimmt die Chemie zwischen den Parteien? Soll ein Unternehmen verkauft werden, das auf den bisherigen Inhaber zugeschnitten ist, in dem viel Herzblut steckt, dann muss es zwischenmenschlich passen: Stichwort Emotion. Sonst kommen die Parteien nicht zusammen. Das ist wie überall im Leben.
Wichtig ist, dass man den Betrieb kennenlernt, sich vor Ort umschaut und mit ein paar Mitarbeitenden spricht.
Wenn man sich für eine Nachfolge entschieden hat: Wo findet man das Unternehmen, das zur Übernahme steht?
Es gibt aus unterschiedlichen Gründen keinen wirklich transparenten Markt, allenfalls einige Nachfolgebörsen. Ich rate daher: Erzählen Sie es jedem, der nicht bei drei auf dem Baum ist, dass Sie an einer Übernahme interessiert sind. Gehen Sie dorthin, wo die Unternehmen typischerweise sind. Das können Messen sein, das können Branchenverbände sein, das können spezielle Veranstaltungen sein. Erzählen Sie es Multiplikatoren wie Kammern, Banken, Beratern. Und schauen sie sich tatsächlich auch auf Nachfolgebörsen um. Ganz häufig ist es dann der berühmte Zufall, dem man durch die aktive Suche auf die Sprünge hilft: Da hat dann jemand etwas gehört und einer kennt einen anderen – und schon wird man zusammengebracht.
Wie lange dauert der Nachfolgeprozess eigentlich?
Der gesamte Prozess einer Übernahme kann drei bis fünf Jahre dauern. Alleine für die Suche nach einem geeigneten Betrieb sollte man sich auf ein bis drei Jahre einstellen.
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Gibt es einen konkreten Ablaufplan für den Prozess?
Der erste Punkt ist wie erwähnt die Zielsetzung: Man informiert sich gründlich, macht eine Bestandsaufnahme und definiert, was man will. Dann sollte man eine Strategie entwickeln, wozu zum Beispiel gehört, ob man sich für eine Neugründung oder eine Übernahme entscheidet. Nachdem ein Fahrplan gemacht wurde, geht es an die konkrete Umsetzung der Übertragung und ggf. die strategische Neuausrichtung. Auf der Seite nachfolge-in-deutschland.de haben wir im Rahmen eines öffentlich geförderten Forschungsprojektes einen praktischen Nachfolgefahrplan entwickelt, der die wichtigsten Schritte auf den Punkt bringt, ohne zu komplex zu sein. Man kann die einzelnen Stationen auf einen Blick erkennen.
Weil allein die Suche offenbar sehr lange dauern kann: Sollte man das erstbeste Angebot nehmen?
Das lässt sich nicht pauschal sagen, weil es von ganz vielen verschiedenen Faktoren abhängt, vielleicht auch eine Typfrage ist. Kurz: Es muss einfach passen. Wenn ich persönlich ein Unternehmen suchen würde, würde ich neben der Überprüfung der Zahlen und der Due Diligence auch mein Bauchgefühl sprechen lassen. Man kann es tatsächlich mit einem Immobilienkauf vergleichen: Klar schaut man, ob die Bausubstanz in Ordnung ist. Aber de facto muss mir die Wohnung auch gefallen. Wichtig ist also, dass man den Betrieb kennenlernt, sich auch mal vor Ort umschaut und im Idealfall mit ein paar Mitarbeitenden spricht, um einen fundierten Eindruck zu bekommen.
Wenn man unbedingt ein Loft will, macht es keinen Sinn, eine Altbauwohnung zu kaufen.
Wie intensiv sollte man sich als Nachfolger mit dem Vorgänger auseinandersetzen?
Je mehr man weiß, je besser man diese Person einschätzen kann, umso besser ist man auf die Verhandlungen vorbereitet. Wenn man weiß, dass der Altinhaber finanziellen Druck oder keine Lust mehr hat, dann kann man auch anders verhandeln.
Wie genau sollte man den Führungsstil des Vorgängers analysieren?
Auch hier gilt: Je genauer, desto besser. Es ist ein ganz wesentliches Kriterium, das man sich einen Eindruck verschaffen kann über die Organisations- und Führungsstruktur.
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Andererseits: Wenn ich einen Betrieb übernehme, möchte ich ihm auch meinen eigenen Stempel aufdrücken …
Das können Sie aber nicht allein. Nehmen wir mal an, man ist ein Teammensch, der Dinge gemeinsam vorantreiben möchte und übernimmt einen Laden, der die letzten 20 Jahre komplett patriarchal geführt wurde. Dann sollte man genau überlegen, ob dieser Betrieb der richtige ist und ob die Mitarbeitenden überhaupt mit mir als Chef oder Chefin klarkommen. Ansonsten bezahlt man im schlimmsten Fall für etwas, das man nicht nutzen kann. Oder um im Bild des Immobilienkaufs zu bleiben: Wenn man unbedingt ein Loft will, macht es keinen Sinn, eine Altbauwohnung zu kaufen.
Macht es Sinn, mit dem Vorgänger noch eine Weile zusammenzuarbeiten?
Das hängt davon ab, wie gut sich beide Seiten verstehen, wie gut sich die Verantwortungsbereiche trennen lassen. Und es hängt auch von der Größe des Unternehmens ab: Je kleiner es ist, umso mehr ist es in der Regel auf den bisherigen Inhaber zugeschnitten. Das lässt sich gut mit einem Maßanzug vergleichen, der dem bisherigen Inhaber passt, aber keinem anderem. In dem Fall macht es schon Sinn, eine Zeit lang zusammenzuarbeiten oder die Übernahmezeit etwas zu strecken, bis das Unternehmen auch unabhängig vom alten Inhaber existieren kann. Wenn der Inhaber alle Fäden in der Hand hat, dann geht es einfach nicht ohne eine gewissen Zeit des Miteinanders.
Unternehmer halten sich für unsterblich, und Nachfolger erst recht.
Das hört sich an, als wäre die Übergabezeit eine potenzielle Fehlerquelle …
… und zwar für beide Seiten. Konflikte in dieser Zeit sind oft die Situationen, in denen ich als Berater oder Coach in die Unternehmen gehe. Wenn die Kommunikation gestört ist, fehlt oft ein klarer Fahrplan, wer wann was entscheiden darf. Ein Fahrplan jedoch ist sehr wichtig. Ohne ihn gibt es oft Missverständnisse und Streitigkeiten.
Was sind andere potenzielle Fehlerquellen?
An eine Notfallplanung denkt kaum jemand. Unternehmer halten sich für unsterblich, und Nachfolger erst recht. Es werden gerne Versicherungen für irgendwelche abstrusen Risiken abgeschlossen, aber für den Fall, dass einem der Beteiligten ein Unfall passiert und damit jegliche Nachfolgepläne zunichte gemacht werden, wird nicht vorgesorgt. Dabei geht es nicht nur um rechtliche Fragen, zum Beispiel beim Testament, sondern um ganz banale Fragen: Wer hat eigentlich die Passwörter für die Computeranlage? Wer kennt die geheimen Rezepturen für die Produkte? Welche mündlichen Rahmenvereinbarungen mit Kunden und Lieferanten gibt es? Das sind alles Dinge, die gerade in kleinen Unternehmen oftmals unter den Tisch fallen.
