Cyberattacken kosten Unternehmen 203 Milliarden Euro, Russland verstärkt Angriffe
Neun von zehn deutschen Unternehmen werden Opfer von Datendiebstahl, Spionage oder Sabotage. Die Rolle der organisierten Kriminaliät nimmt dabei zu – auch weil Staaten wie Russland Cybercrime als Deckmantel für eigene Operationen nutzen.

Der deutschen Wirtschaft entsteht ein jährlicher Schaden von rund 203 Milliarden Euro durch Diebstahl von IT-Ausrüstung und Daten, Spionage und Sabotage. Damit liegt der Schaden etwas niedriger als im Rekordjahr 2021 mit 223 Milliarden Euro. In den Jahren 2018/2019 waren es erst 103 Milliarden Euro. Das sind Ergebnisse einer Studie im Auftrag des Digitalverbands Bitkom, für die mehr als 1.000 Unternehmen quer durch alle Branchen repräsentativ befragt wurden.
Praktisch jedes Unternehmen in Deutschland wird Opfer: 84 Prozent der Unternehmen waren im vergangenen Jahr betroffen, weitere 9 Prozent gehen davon aus. Dabei sind die Angriffe aus Russland und China zuletzt sprunghaft angestiegen. 43 Prozent der betroffenen Unternehmen haben mindestens eine Attacke aus China identifiziert (2021: 30 Prozent). 36 Prozent haben Urheber in Russland ausgemacht (2021: 23 Prozent).
„Spätestens mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und einer hybriden Kriegsführung auch im digitalen Raum ist die Bedrohung durch Cyberattacken für die Wirtschaft in den Fokus von Unternehmen und Politik gerückt. Die Bedrohungslage ist aber auch unabhängig davon hoch“, sagte Bitkom-Präsident Achim Berg. „Die Angreifer werden immer professioneller und sind häufiger im organisierten Verbrechen zu finden, wobei die Abgrenzung zwischen kriminellen Banden und staatlich gesteuerten Gruppen zunehmend schwerfällt. Allerdings zeigen die Ergebnisse in diesem Jahr auch, dass Unternehmen mit geeigneten Maßnahmen und Vorsorge dafür sorgen können, dass Angriffe abgewehrt werden oder zumindest der Schaden begrenzt wird.“
Verfassungsschutz-Vizepräsident Sinan Selen sagte bei der Vorstellung der Studie: „Die Bewertungen in der Studie spiegeln sich auch in der Lageeinschätzung der Cyberabwehr des BfV wider. Die Grenzen zwischen Cyberspionage und Cybercrime verschwimmen zunehmend. Wir müssen uns nicht nur auf ein ,Outsourcing‘ von Spionage einstellen, sondern auch darauf, dass Staaten Cybercrime als Deckmantel für eigene Operationen nutzen.“
Digitale Angriffe nehmen zu, analoge gehen leicht zurück
Angriffe auf die Wirtschaft haben sich im vergangenen Jahr weiter in den digitalen Raum verlagert. So geben zwei Drittel der Unternehmen (69 Prozent) an, dass sie in den vergangenen zwölf Monaten von Diebstählen von IT- und Telekommunikationsgeräten betroffen oder vermutlich betroffen waren. 63 Prozent berichten vom Diebstahl sensibler Daten (plus 3 Prozentpunkte), bei 57 Prozent wurde digitale Kommunikation ausgespäht (plus 5 Prozentpunkte) und 55 Prozent sind von der digitalen Sabotage von Systemen oder Betriebsabläufen betroffen oder vermuten dies (plus 3 Prozentpunkte). Leicht rückläufig sind dagegen der analoge Diebstahl von physischen Dokumenten, Unterlagen oder Mustern (42 Prozent, minus 8 Prozentpunkte).
Datendiebstahl: Täter haben es auf die Daten Dritter abgesehen
Beim Diebstahl digitaler Daten haben es die Angreifer verstärkt auf Daten Dritter abgesehen. So geben 68 Prozent der von diesem Delikt betroffenen Unternehmen an, dass Kommunikationsdaten wie E-Mails entwendet wurden (2021: 63 Prozent). Bei fast jedem Zweiten (45 Prozent) waren Kundendaten im Visier. Berg: „Die Täter scheinen genau zu wissen, an welcher Stelle sie am härtesten zuschlagen können. Wenn Daten Dritter entwendet werden, droht den Unternehmen zusätzlicher Schaden.“ In rund jedem fünften betroffenen Unternehmen (18 Prozent) hatten es die Täter auf geistiges Eigentum wie Patente abgesehen, in 14 Prozent flossen Finanzdaten ab.
Cyberangriffe: 45 Prozent fürchten um Existenz
Insbesondere digitale Angriffe beunruhigen die Wirtschaft. 39 Prozent haben in den vergangenen zwölf Monaten erlebt, dass Cyberattacken auf ihr Unternehmen stark zugenommen haben, 45 Prozent meinen, sie haben eher zugenommen. Vor allem Betreiber kritischer Infrastrukturen erleben einen Anstieg der Angriffe: Hier sagen 49 Prozent, die Attacken haben stark zugenommen, und 38 Prozent, sie haben eher zugenommen. Die Sorgen vor den Folgen einer Cyberattacke wachsen: 45 Prozent der Unternehmen meinen, dass Cyberattacken ihre geschäftliche Existenz bedrohen können – vor einem Jahr lag der Anteil bei gerade einmal 9 Prozent.
Bei den Cyberangriffen wurden vor allem Attacken auf Passwörter, Phishing und die Infizierung mit Schadsoftware bzw. Malware für die Unternehmen teuer – in jeweils jedem vierten Unternehmen (25 Prozent) ist ein entsprechender Schaden entstehen. Dahinter folgen DDoS-Attacken, um IT-Systeme lahmzulegen (21 Prozent). Ransomware-Attacken haben in 12 Prozent der Unternehmen Schäden verursacht. „Bei Ransomware gilt: Durch technische Vorkehrungen und Schulung der Beschäftigten lassen sich Angriffe abwehren. Und wer aktuelle Backups zur Verfügung hat und einen Notfallplan aufstellt, der kann den Schaden einer erfolgreichen Attacke zumindest deutlich reduzieren“, so Berg. „Auf keinen Fall sollte ein Lösegeld gezahlt werden.“
Einen Anstieg gab es beim sogenannten Social Engineering. Fast jedes zweite Unternehmen (48 Prozent) berichtet von entsprechenden Versuchen. Dabei wird vor allem und deutlich häufiger als in der Vergangenheit versucht, über das Telefon (38 Prozent, 2021: 27 Prozent) und über E-Mail (34 Prozent, 2021: 24 Prozent) an sensible Informationen zu gelangen. Sie können dann für Cyberattacken verwendet werden.
Zunahme von Cyberattacken auf kritische Infrastruktur
Die Unternehmen erwarten in den kommenden zwölf Monaten eine weitere Zunahme von Cyberangriffen. 42 Prozent der Unternehmen rechnen mit einem starken Anstieg, 36 Prozent mit einem eher starken. Die Betreiber kritischer Infrastruktur stellen sich sogar auf noch heftigere Attacken ein: Hier rechnen 51 Prozent mit einem starken, 33 Prozent mit einem eher starken Anstieg.
Der Anteil der Ausgaben für IT-Sicherheit am IT-Budget der Unternehmen ist verglichen mit dem Vorjahr leicht gestiegen. 9 Prozent geben die Unternehmen im Schnitt aus, vor einem Jahr waren es 7 Prozent. „Bei den Ausgaben für IT-Sicherheit müssen die Unternehmen dringend zulegen. Die Erkenntnis, welche dramatischen Folgen ein erfolgreicher Angriff haben kann, ist längst da – den notwendigen Schutz davor gibt es aber nicht zum Nulltarif. Hier müssen Vorstände und Geschäftsleitungen umgehend aktiv werden“, sagte Berg.