Wahlhilfe konkret – dieses Tool ist ehrlicher als der Wahl-O-Mat
Zwei Wissenschaftler entwickeln für die Bundestagswahl am 26. September 2021 eine Wahlentscheidungshilfe mit dem einzig logischen Konzept: Sie zeigen nicht, wie Parteien zu bestimmten Themen stehen würden, sondern wie sie konkret abgestimmt haben.
Seit Ende August ist die Webseite DeinWal.de online. „Das Angebot erfreut sich enormer Aufmerksamkeit“, berichtet Martin Scharm. Der Bioinformatiker entwickelt aktuell Software am Lehrstuhl für Schiffbau der Universität Rostock. Tom Theile, der als Software-Entwickler am Max-Planck-Institut für demografische Forschung arbeitet, kennt er aus der gemeinsamen Doktorandenzeit am Lehrstuhl für Systembiologie und Bioinformatik der Universität Rostock.
Beide verbindet ein – eigentlich eher durchschnittliches – Interesse an der Politik. Aber „oft wird den Parteien vorgeworfen, dass sie ihre Wahlversprechen nicht halten“, sagt Martin. Auch wenn DeinWal dem Wahl-O-Mat auf den ersten Blick sehr ähnelt, steckt doch ein ganz anderes Konzept dahinter. Hier sagen die Parteien nicht, wie sie zu einem Thema abstimmen würden – hier zählt, wie sie zu einem Thema tatsächlich abgestimmt haben. Mit ihrer Entwicklung, über die sie viele Stunden und manche Nacht „gebrütet“ haben, lasse sich die letzte Legislaturperiode von 2017 bis 2021 nachspielen. „So, als wärst Du selbst dabei gewesen“, ist Tom stolz auf das Konzept hinter DeinWal.de.
Wie das Ganze funktioniert? „Die Daten über das Abstimmungsverhalten der Politiker sind relativ gut dokumentiert. Das wollten wir für alle einfach zugänglich machen“, sagen Martin und Tom unisono. Dabei konnten die beiden ihre Stärken als Softwareentwickler und Datenwissenschaftler gut gebrauchen: Die Entscheidungen und Dokumente zu den Abstimmungen im Bundestag mussten nämlich erst einmal gefunden, aufbereitet und integriert werden.
Für das Projekt hatten die beiden Rostocker Wissenschaftler in ihrer Freizeit mehr als 200 Abstimmungen im Bundestag zusammengetragen, studiert und kategorisiert. Es sei ein langer Atem erforderlich, unterstreicht Martin: „Wir arbeiten seit Monaten an dem Projekt und mussten uns immer wieder motivieren die teils komplizierten Anträge und Gesetzesänderungen aus dem Bundestag zu analysieren.“
Dieses Jahr konnten die beiden aber auf die Verstärkung von der Demokratiewissenschaftlerin Sophie Flack bauen. Sophie gehört zum Team seit sie sich in ihrer Bachelorarbeit mit dem DeinWal von 2017 beschäftigte. Sie studiert aktuell an der Universität in Regensburg. Die Besprechungen zum Projekt fanden also allesamt online statt.
Die Idee, für ein paar Minuten Abgeordneter zu sein und über komplizierte Anträge zu entscheiden, ist in der Tat originell. Bereits zur letzten Bundestagswahl gehörten Dr. Martin Scharm und Tom Theile zu den Ersten in Deutschland, die eine Entscheidungshilfe der besonderen Art für die Bundestagswahl geboten haben. DeinWal verschaffte damit bereits vor vier Jahren fast 2 Millionen Nutzern einen ganz neuen Zugang zu politischen Themen.
Die Webseite basierte damals schon auf Quizfragen, die auf den tatsächlichen Abstimmungen im Bundestag basierten. So ließ sich erkennen, welche Partei die eigene Position am besten vertrat. Martin und Tom betonen jedoch, dass das Konzept hinter DeinWal auch Nachteile hat. Denn Abstimmungsergebnisse spiegeln nicht zwingend die Überzeugungen der Parteien wieder, sondern beruhen im Fall der Koalitionspartner SPD und CDU/CSU oft auf Kompromissen.
Außerdem kann DeinWal nur Parteien berücksichtigen, die in den vergangenen vier Jahren im Bundestag vertreten waren. Kleinere Parteien können leider nicht berücksichtigt werden, weil von ihnen die Abstimmungsergebnisse nicht vorhanden sind. Trotzdem ist DeinWal eine schnelle und bequeme Möglichkeit, die Politik der letzten vier Jahre noch einmal Revue passieren zu lassen und zu überprüfen, wie die Parteien die eigenen Interessen im Bundestag vertreten haben.
Das Feedback sei wieder enorm groß, sagen die beiden jungen Männer. Sie schaffen es kaum die vielen Zuschriften zu beantworten. „Schon vor der Veröffentlichung haben wir etliche E-Mails bekommen, ob und wann es einen neuen DeinWal geben wird”, erzählt Tom. Die neuartige Wahlentscheidungshilfe muss schon 2017 einen guten Eindruck bei vielen Wählenden hinterlassen haben.