Wege zur Macht: Bei Karrieren von Frauen gibt es keinen Merkel-Faktor
Welche Voraussetzungen müssen Frauen erfüllen, um die politische Karriereleiter zu erklimmen? Unterscheidet sich ihr Weg zur Macht von dem männlicher Konkurrenten? Eine neue Studie der Leuphana Universität Lüneburg beantwortet diese Fragen.
Welche Voraussetzungen müssen Frauen erfüllen, um die politische Karriereleiter zu erklimmen? Unterscheidet sich ihr Weg zur Macht von dem männlicher Konkurrenten? Eine neue Studie der Leuphana Universität Lüneburg verneint diese Frage. Die Wissenschaftler haben die Biografien sämtlicher Premierministerinnen in Europa seit 1945 mit denen ihrer männlichen Kollegen verglichen. Es ist bislang die europaweit umfangreichste Untersuchung dieser Art.
Seit 1945 gab es in Europa 276 Premierminister, aber nur 14 Premierministerinnen. Zu den wohl bekanntesten zählen die Britin Margaret Thatcher und die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel. „Nur wenige Frauen schaffen es also an die politische Spitze“, stellt Ina Kubbe vom Zentrum für Demokratieforschung (ZDEMO) der Leuphana Universität fest. „Uns interessiert, ob sie auf diesem Weg andere Voraussetzungen erfüllen müssen als Männer.“
Die Demokratieforscher haben dazu Biografien der 14 Erfolgs-Frauen ausgewertet und mit denen ihrer männlichen Kollegen verglichen. Bei diesem Vergleich beschränkten sie sich auf die Länder in Europa, die seit 1945 mindestens einmal unter weiblicher Ägide standen. Die Demokratien Südeuropas etwa blieben so außen vor; dort war der Chefsessel bislang ausschließlich für Männer reserviert. „Wir vergleichen also insgesamt 138 Lebenswege – 124 von Männern, 14 von Frauen“, erläutert Kubbe.
Das Ergebnis ist auf den ersten Blick überraschend. „Die Karrierewege von männlichen und weiblichen Premierministern sind praktisch ununterscheidbar“, betont ZDEMO-Leiter Professor Dr. Ferdinand Müller-Rommel. Ob Kohl oder Merkel, Thatcher oder Blair – Frauen wie Männer durchlaufen auf ihrem Weg zur Spitze in der Regel ganz ähnliche Stationen: Sie beginnen meist in der Lokalpolitik, werden dann irgendwann Mitglied des Parlaments, übernehmen die Leitung eines Ministeriums und später oft den Vorsitz ihrer jeweiligen Partei. Im Schnitt sammeln sie 17 Jahre Erfahrung in Parlament und Kabinett, bevor der letzte Karriere-Schritt auf den Premierminister-Posten erfolgt – in der Regel mit Ende 40.
Wer ein Land führen will, muss seine Fähigkeiten also zuvor in hochrangigen politischen Ämtern bewiesen haben. Was zählt, sind Erfahrung und Professionalität – und zwar unabhängig von den Geschlechtschromosomen. „Wir haben anhand unserer Daten kein typisches Muster finden können, in dem sich der weibliche Weg zur Macht von dem ihrer männlichen Kollegen unterscheidet“, resümiert Müller-Rommel. „Das kam für uns unerwartet.“
Kein Muster an Gleichberechtigung
Das bedeutet aber nicht, dass Europas Regierungen ein Muster an Gleichberechtigung sind. Zwar müssen Frauen und Männer augenscheinlich dieselben Voraussetzungen mitbringen, um in Schlüsselpositionen vorzustoßen. Dennoch sind Frauen in der Politik immer noch stark unterrepräsentiert. Ein möglicher Grund: Männer machen in der Politik schneller Karriere, weil sie bei gleicher Qualifikation bevorzugt werden. Das Sieb vor jedem Karriereschritt wäre bei ihnen in diesem Fall also gröber als bei Frauen. Die Lüneburger Wissenschaftler wollen nun analysieren, ob dieser Mechanismus die geringe Zahl von Premierministerinnen erklären kann.
Die ZDEMO-Forscher haben in ihren Daten zudem zwei interessante Auffälligkeiten ausgemacht. Zum Einen sind Premierministerinnen im Schnitt besser ausgebildet als ihre männlichen Kollegen – sie haben zum Beispiel häufiger studiert und promoviert. Es scheint also so zu sein, dass die Anforderungen an Frauen, die in der Politik Karriere machen wollen, in diesem Punkt höher sind als die an Männer.
Ministerin für „Gedöns“
Im Unterschied zu Männern besetzen Frauen zudem meist wenig prestigeträchtige Ministerposten. Sie sind – um es mit den Worten von Altkanzler Gerhard Schröder zu sagen – eher für „Gedöns“ zuständig als für Finanzen oder das Militär. Sie werden also anscheinend eher auf „weiche“ Themen abgeschoben. Ursula von der Leyen ist in ihrer Position als Verteidigungsministerin (noch) eine Ausnahme – zumindest hierzulande. Denn in den skandinavischen Ländern scheint diese klassische Ressortaufteilung schon mehr oder weniger passé zu sein. „Schweden, Dänemark oder Norwegen sind – und zwar auch in der Politik! – in Sachen Gleichberechtigung ein ganzes Stück weiter als wir“, betont Ina Kubbe. „Die Gleichstellung von Mann und Frau ist dort in der Gesellschaft fest verankert. Das schlägt sich auch in den entsprechenden Rahmenbedingungen nieder, wie etwa der Versorgung mit Kinderbetreuungsplätzen.“
Doch immerhin scheint Europa bei diesem Thema insgesamt etwas voranzukommen. Inzwischen müssen etwa Premierministerinnen nicht mehr als absolute Exotinnen gelten: Zwischen 2010 und 2014 gab es in Europa immerhin sechs Staatslenkerinnen, in den 30 Jahren davor waren es zusammengerechnet acht. Von einem Frauen-Boom in der Politik mag Kubbe dennoch nicht sprechen: „In den 28 EU-Staaten gibt es momentan insgesamt vier Premierministerinnen. Das sind gerade einmal 14 Prozent.“