„Erfahrung hilft, mutig zu sein“ – Venture Capitalist Jörg Binnenbrücker über dringend benötigtes Wagniskapital und die finanzielle Schwäche deutscher Startups
Startups brauchen Geld, und das nicht nur von den FFF (Family, Fools & Friends). Doch damit Kapitalgeber das Wagnis eingehen, braucht es zum einen den Mut zum Risiko, zum anderen sinnvolle Regelungen des Gesetzgebers. Jörg Binnenbrücker von Capnamic Ventures im Interview.

Startups brauchen Geld, und das nicht nur von den FFF (Family, Fools & Friends). Doch damit Kapitalgeber das Wagnis eingehen, braucht es zum einen den Mut zum Risiko, zum anderen sinnvolle Regelungen des Gesetzgebers. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble blockiert die Neuregelung des Wagniskapitalgesetzes gerade – andere reagieren darauf unwirsch. Wie relevant ist die Diskussion für Startups und wie kann die Venture Capital Szene in Deutschland gestärkt werden. Jörg Binnenbrücker von Capnamic Ventures im Interview.
Gründerküche: Herr Binnenbrücker, Deutschland ist weit abgeschlagen bei der Förderung von Startups mit Wagniskapital. Warum ist das so?
Jörg Binnebrücker: Der Abstand zu vergleichbaren Volkwirtschaften im Rest der Welt ist in der Tat viel zu groß und mittelfristig eine Bedrohung der Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Ein Grund ist sicherlich, dass wir hierzulande noch zu wenig große Exits haben. Wir brauchen mehr von SAP und Zalando.
Gründerküche: Wozu, welche Wirkungen haben solche Exits?
Jörg Binnebrücker: Solche Erfolgsstories helfen den Unternehmergeist in der Bevölkerung zu beschwören und einerseits mehr Menschen für das Abenteuer Gründung zu begeistern und andererseits das Bild des Unternehmers in der Gesellschaft wieder zu verbessern – das betrifft auch den Respekt gegenüber gescheiterten Unternehmern.
Gründerküche: Gescheiterte Gründer haben in den USA einen besseren Ruf – weil sie etwas riskiert haben. In Deutschland sind sie eben gescheitert, also unfähig. Hilft uns der Blick über den großen Teich?
Jörg Binnebrücker: Die Erfolge der deutschen Gründerszene werden stets mit denen der USA verglichen werden. Der Vergleich hinkt aber ungemein, da das Ökosystem in den USA viel weiter entwickelt ist. Venture Capital Geber wie Greylock Partners sind bereits seit über 50 Jahren als Kapitalgeber aktiv. Zudem sind die Unternehmen auf Käuferseite in den USA innovativer und mutiger. Während deutsche Unternehmen ihre M&A Aktivitäten oft auf die Akquise profitabler Unternehmen beschränken, die nah am Kerngeschäft agieren, beobachten wir in den USA auch Transaktionen, bei denen es der Käufer ausschließlich auf Technologie, Kompetenzen oder Köpfe abgesehen hat. Auch Börsengänge junger Unternehmen sind in den USA deutlich häufiger zu sehen als in Deutschland und dem Rest Europas. Kurzum, für US Unternehmen bieten sich mehr Exitkanäle. Damit steigt natürlich auch die Wahrscheinlichkeit eines erfolgreichen Verkaufs.
Gründerküche: In den USA sind also Gründerökosysteme einfach stärker, weil älter und dynamischer?
Jörg Binnebrücker: Ja, und in den USA ist auch einfach mehr Geld verfügbar, welches notwendig ist, um wirklich große Unternehmen zu bauen. Dabei spielen insbesondere die großen institutionellen Anleger eine wichtige Rolle, die in den USA deutlich mehr Gelder in der Assetklasse Venture Capital allokieren, als ihre deutschen Kollegen.
Hier schließt sich im Prinzip ein Teufelskreis: Ohne weiteres Kapital wird es auch nicht gelingen, mehr Gründer zu finanzieren und die Wahrscheinlichkeit den Marktführer von morgen in Deutschland zu bauen wird sich nicht verbessern. Ohne weitere Erfolgsstories wird es schwierig neue Investoren für Venture Capital zu gewinnen und mehr Geld zu investieren. An der Stelle sind wir alle – Unternehmer, Investoren und die Politik – gefordert anzusetzen und die entsprechenden Rahmenbedingungen für ein gründerfreundliches Deutschland zu gestalten.
Gründerküche: In den USA ist also weitaus mehr Wagniskapital im Umlauf. Sind wir Deutschen einfach nur vorsichtiger?
Jörg Binnebrücker: Die Deutschen sind definitiv risikoaverser als die Amerikaner. Dass Chancen und Risiken jedoch immer einhergehen, wird in Deutschland leider oft vergessen. Was wir brauchen – und mit dieser Meinung bin ich nicht allein – ist eine offene Fehlerkultur. Es dürfen Fehler gemacht werden, auch
bei Unternehmensgründungen. Gründer dürfen scheitern, solange sie aus ihren Fehlern lernen und auf diesen Weg besser werden. Das ist enorm wichtig für die Professionalisierung digitaler Geschäftsmodelle. Auch VCs tun sich in Deutschland oft schwer, mutig zu sein.
Gründerküche: Und ist so ein bisschen Vorsicht nicht auch gut, schließlich steckt das Risiko nicht nur im Namen?
Jörg Binnebrücker: Vorsicht ist gut. Wir bei Capnamics haben natürlich auch unsere Kontrollmechanismen. Wir haben uns jahrelang auf die Risikobewertung von Unternehmen spezialisiert und kennen die Up and Downs eines jungen Unternehmens. Als Frühphaseninvestor muss man wissen, dass auch sehr erfolgreiche Unternehmen auf ihrem Weg nach Oben mit vielen Rückschlägen zu kämpfen haben. Hier hilft uns unsere Erfahungen, auch in unruhigen Zeiten einen kühlen Kopf zu bewahren und den Gründern den Rücken zu stärken. Wichtig ist, dass dem hohen Risiko, welches ein VC eingeht, ein angemessenes Chancenprofil gegenübersteht. Erfahrung hilft, mutig zu sein und Chancen sowie Risiken treffender zu beurteilen. Daher mache ich mich auch für die Professionalisierung des Venture Capital Sektors stark.
Gründerküche: Die Bundesregierung streitet heftig um die Neuregelung des Gesetzes zum Wagniskapital. Gleichzeitig will man Startups stärken. Warum ist das so schwierig?
Jörg Binnebrücker: Das Hadern der Koalition ist sicherlich auch ein Grund dafür, dass uns nicht nur die USA, sondern auch unsere Europäischen Nachbarn wie England, Schweden oder auch Frankreich in puncto Gründerfreundlichkeit nach wie vor ein paar Schritte voraus sind. Um die Lücke zu schließen, erwarte ich von der Politik stärkere Impulse für Gründer und Investoren. Die Umsetzung eines großen „Wagniskapitalgesetzes“ finde ich dabei nicht so wichtig, auch wenn es sicherlich eine Signalwirkung hätte. Wichtiger ist mir, dass die Sache an sich inhaltlich vorangetrieben wird. Die Neuausrichtung der Investitionsaktivitäten auf Seiten der KfW ist eine sinnvolle Maßnahme. Die Behandlung von Verlustvorträgen bei Änderungen der Gesellschafterstruktur, eine Förderung von Investments in junge Unternehmen und Venture Capital, sowie Erleichterungen bei der Rekrutierung ausländischer Fachkräfte wären weitere sinnvolle Maßnahmen.
Gründerküche: Welchen konkreten Bedarf an Wagniskapital sehen Sie?
Jörg Binnebrücker: Mit den steigenden Gründungszahlen wird die Nachfrage nach Wagniskapital natürlich immer größer. VCs sind ein unerlässlicher Akteur und Wachstumstreiber der Gründerszene und damit der gesamten Wirtschaft. In den USA werden mehr als 20 Prozent des Bruttoinlandprodukts von Venture Capital finanzierten Unternehmen generiert. Eine Zahl, die zeigt, welchen Impact ein florierendes VC Ökosystem auf die Wirtschaftskraft eines Landes haben kann. Dem gilt es nachzueifern.
Gründerküche: Und was wünschen Sie sich, zeitnah, mittelfristig und langfristig?
Jörg Binnebrücker: Ich wünsche mir mutige Gründer, die Risiko wagen, mehr erfolgreiche Exits in Deutschland, als Vorbild für unsere Entrepreneure, aber auch um Geldgebern zu zeigen, dass es sich lohnt, in Startups und Fonds zu investieren.
Mittelfristig müssen wir in Deutschland dringend die Rahmenbedingungen für Unternehmertum verbessern. Zudem wünsche ich mir mehr institutionelle Anleger, wie Pensionskassen, die bei ihren Investitionen in die verschiedenen Assetklassen Venture Capital stärker berücksichtigen. Wir haben so viele kluge Klöpfe und trotzdem immer noch eine enorme Kapitalknappheit.
Zur Person Jörg Binnebrücker
Jörg Binnenbrücker ist Managing Partner bei Capnamic Ventures. Er hat den Capnamic Ventures Fonds kreiert und gemeinsam mit Christian Siegele 2013 ins Leben gerufen. Seit mehr als 13 Jahren bewegt sich Jörg Binnenbrücker in der Venture Capital- und Private Equity-Szene. Vor der Gründung von Capnamic Ventures hat er DuMont Venture, die Beteiligungsgesellschaft der Mediengruppe M. DuMont Schauberg, als Gründungspartner und Geschäftsführer aufgebaut und dabei wesentlich zur Digitalstrategie des Hauses beigetragen. Zwischen 2007 und 2012 betreute er bei DuMont Venture 24 Investments, managte 15 externe Anschlussfinanzierungen und betreute sieben Exits. Zuvor war Jörg Binnenbrücker Senior Investment Manager beim High-Tech-Gründerfonds, wo er 25 Investments betreute. Seine Venture Capital-Karriere fing er als Operations Manager bei PriceWaterhouseCoopers mit dem Schwerpunkt Venture Capital / Corporate Venture Capital an. Er ist Mitinitiator und Partner des Beiratforums, Beirat des House of Ventures an der European Business School (EBS) und unterstützt den Deutschen Gründerpreis als Branchenexperte bei der Nominierung der Kandidaten.
Lesetipp:
Wagniskapital für Startups: Was das ist, für welche Gründer diese Finanzierung sinnvoll ist und wann das Geld an den VC zurückfließt. Der ausführliche Fachartikel von Jörg Binnenbrücker hier.